STRICHHALTIGE GRÜNDE
Wer je bei Inga Kondeyne schon einmal oder gar mehrfach Exponaten des Zeichners Kazuki Nakahara begegnet ist, der vermag vermutlich rege Reminiszenzen zu aktivieren an mit schier unendlich variablen Zeilenformationen und Zeilenabbrüchen übersäte, zumeist großformatige Blätter: atmosphärische Areale, die den Atem einer luftigen Leichtigkeit aussenden.
Die Flüchtigkeit der Erscheinungen bleibt in den neuen Blättern immer gewahrt; indessen: es waltet in ihnen eine andere Gestimmtheit. Nach wie vor ist die Sicht frei auf die von Nakahara Zeile für Zeile ausgefertigte Ansammlung unterschiedlichster Zeichnungskürzel mit dem Charakter leerer Signifikanten, wobei jede Zeile zugleich absichtsvolle Aussparungen vorhält, die ihrerseits in der Gesamtschau als Leerstellenlineaturen des Blattgrundes fungieren. All das organisiert sich zu einer abstrakten Konfiguration, die nunmehr eher expressiv/dramatisch konnotiert einherkommt. Strichführungen, Zeilen und Zeilenschübe verhaken sich zu spannungsgeladenen Gegenläufigkeiten oder Überlagerungen, instrumentieren eingestreute Ballungen, Verwirbelungen und Verwerfungen oder enden abrupt an vertikalen/diagonalen ,Durch-Strahlungen‘ des Blattgrundes. Ausgeprägte, bisweilen rasante ,Bewegungsimpulse’ kommen ins Spiel, durchströmen bald so, bald so des Künstlers jüngste Zeichnungsfolge. Als Schlussakzent wird weiterhin des öfteren per Kohlestift eine blitzartig anmutende Störspur über das Blatt gelegt oder ragt vom Rande aus in es hinein.
Auf jeden Strich, jedes Kürzel, jedes Zeichengebilde als Ausdruck seiner selbst kommt es hier an; Nakaharas wortsprachlich letztlich nicht erreichbare und fassliche Detailtableaus wenden sich an Auge und Geist, stimulieren Empfindungen, Erinnerungen, auch Fragen; der überschaubare Materialeinsatz entfesselt gleichsam einen Sog in ,entmaterialisiertes’ Gelände: welche Kräfte treffen hier auf-, welche ,Luftgeister‘ ringen hier miteinander? Die zeigende Auskunft jedes Blattes dazu: es ist SCHLEIERHAFT.
Nähere Umschreibungen möglicher Evokationen unterbleiben an dieser Stelle, schon um vorab nichts engzuführen. Jede und jeder kann sich vor Ort den eigenen Wahrnehmungen und Imaginationen hingeben, ihnen nachsinnen und den Austausch suchen; denn die Anreicherung der ästhetischen Erfahrung vollzieht sich schließlich als Erkenntnis-Pendelweg zwischen den künstlerischen Phänomenen (insbesondere als Bezugnahme von Werken untereinander) und den Denkgeflechten der ästhetischen Ideenwelt – hin und wieder zurück…
Alles beginnt gleichwohl mit dem Einlassen, Wahrnehmen und Staunen…nicht anders vor den Exponaten hier: Wie geschieht mir?‘
Josef Molitor
For those who have encountered exhibits by draftsman Kazuki Nakahara at Inga Kondeyne’s gallery before, vivid memories will likely surface of mostly large-format sheets covered with almost infinitely variable line formations and interruptions: atmospheric expanses that exude a breath of airy lightness.
The fleeting quality of the impressions is still there in the latest sheets; however, a different mood prevails. As before, we get a clear view of Nakahara’s line-by-line accumulation of a diverse range of graphic abbreviations with the nature of empty signifiers, whereby each line also offers deliberately placed gaps. In their turn, these function in the overall view as the sheet background’s blank linear forms.
All of this is organised into an abstract configuration with a more expressive/dramatic connotation in the current works. Dashes, lines and line breaks become entangled in tense counter-movement or superimposition, orchestrate interspersed agglomerations, swirls and distortions, or they end abruptly at vertical/diagonal ‘radiations’ across the sheet ground. Pronounced, sometimes rapid ‘impulses of movement’ come into play, flowing through the artist’s most recent series of drawings. As a final feature, a lightning-like trace of interference is often laid over the sheet using charcoal pencil, or projects into it from the edge.
Every dash, every abbreviation, every drawing as an expression of itself is vital here; Nakahara’s detailed tableaux, ultimately inaccessible and intangible in the language of words, address the eye and the mind, stimulating sensations, memories, even questions; the simple use of material unleashes a pull into ‘dematerialised’ territory, as it were: what forces meet here, what ‘airy spirits’ wrestle with each other? Each sheet provides us with only SHROUDED information.
I shall refrain from further description of conceivable evocations at this point, if only to avoid restricting anything in advance. Everyone can indulge in their own perceptions and imaginations on site, ponder them and seek communion; because the enrichment of aesthetic experience ultimately takes place as a cognitive oscillation between the artistic phenomena (in particular as co-reference between works) and the aesthetic world of ideas with its intellectual networks – and back again…
Nevertheless, everything begins with engagement, perception, and amazement… and that is no different when contemplating the exhibits here:
‘What is happening to me?’
Josef Molitor